Erwachen eines Druiden

Midhir lag um das kleine Feuer herum, an dessen Rand noch immer die beiden Hasen hingen. Inzwischen war das Feuer nur noch am Schwelen und hielt die Hasen warm. Dadurch, das Parthalán zu Midhir gekommen war und einen Apfel neben ihn gelegt hatte, war Midhir wach geworden. Müde sah er gen Himmel, seufzte kurz und sah dann nach den Hasen. Erst danach drehte er sich um und sah den Apfel. Er nahm einen Hasen und ging damit zu Parthalán. "Morg'n", nuschelte er noch halb schlaftrunken und überreichte dann den Hasen, "n kleines Frühstück. Wir werden heute noch weit wandern, wir sollten also gut gestärkt sein." Fast immer, wenn er unter Menschen war, hatte es morgens Kaffe gegeben und Midhir dachte sich: Jetzt brauch ich mal einen und keiner ist da.
Nun wandte er sich seinem eigenen Hasen zu, legte den Apfel neben sich. Der Hase war gut, doch durch das Warmhalten an wenigen Stellen schon leicht trocken geworden. Nichtsdestotrotz war der Hase schnell verputzt und Midhir packte sich den Apfel ein.
Er stand auf und fragte eine Eiche, wo der nächste Bach zu finden sei und erfuhr, wo er suchen musste, und dass ein Eichhörnchen keine Stunde brauchen würde. Hoch erfreut dankte er dem Baum, wünschte ihm Regen in Maßen und genug Sonne.
Nun wandte er sich in die Richtung, in der Parthalán saß.

Parthalán dankte Midhir für den Hasen und aß ebenfalls. "In welche Richtung willst du?, fragte er und packte dabei seine Sachen zusammen. Den Apfel verstaute er, zusammen mit etwas Löwenzahn, Brennnessel und Bärlauch in den Taschen seiner Robe und hob zuletzt seinen Stab auf.

"Zuerst sollten wir unsere Wasservorräte auffrischen.", meinte Midhir und zeigte gen Nord-Ost, "in dieser Richtung liegt ein kleiner Bach. Danach werden wir sehen, wohin die Reise führt."

Ohne zu zögern marschierte Parthalán in die angegebene Richtung. Immer wieder schob er niedrige Äste und Buschwerk mit seinem Stab bei Seite. "Und wie willst du das Wasser transportieren? Ich habe keinen Wasserschlauch oder sowas.", fragte er nach kurzer Zeit. "Oder wir folgen dem Bachlauf weiter."

Midhir musste grinsen. "Also ich hab' einen", gab er gedehnt von sich, "Notfalls musst du dir einen improvisieren. Oder wir folgen, wie du schon sagtest, einfach dem Bach. So werden wir wahrscheinlich auch auf kleine Dörfer treffen." Die Hasenfelle würde er dort sicherlich in ein paar Kupfer tauschen können.

"Dann folgen wir also dem Lauf und im nächsten Dorf besorge ich mir einen Wasserschlauch...", meinte er und begann darüber nachzudenken, wie er den bezahlen sollte. Er könnte einen "Soldatentee" aus Brennnessel und Bärlauch eintauschen, denn nicht ohne Grund hatte er beides an der Lichtung gesammelt. Viele akandrianische Soldaten kochten sich die Blätter in Wasser auf. Dieser sollte diverse typische Soldatenkrankheite wie Magenübel, schlechte Verdauung oder Durchfall lösen. Auch wenn viele Bauern das Rezept auch kannten, so konnte er zumindest das Sammeln und einkochen übernehmen. "Wir sollten auf dem Weg noch nach Bärlapp und Brennnessel Ausschau halten.", sagte er schließlich und erklärte seine Überlegung. "Besser wäre eine Kamille. Meine Mutter meinte, damit könne man Grippe und sowas behandeln..."

"Am besten suchen wir auch noch nach Waldmeister.", meinte Midhir vergnügt.

Parthalán dachte darüber nach, konnte sich aber nicht erklären, wofür der Waldmeister gut sein sollte. "Wofür brauchst du den?", fragte er schließlich.

"Wenn Waldmeister vor der Blüte gesammelt wird, kann man ihn als Geschmacksmittel benutzen. Sollte man zwar nur in Maßen genießen, aber es sehr gut.", erklärte Midhir, fügte dann mit breitem Grinsen hinzu: "Leider werden wir zu dieser Jahreszeit sowas auf keinen Fall finden."

Parthalán zuckte nur mit den Achseln. Er konnte mittlerweile den Bach hören und freute sich auf einen Schluck frischen Wassers. Als er durch ein dichteres Gestrüpp trat, lag vor ihm ein schmaler Bach, der über Kiesel und Steine in nord-westliche Richtung floss, aber bald hinter einer Biegung verschand.

Er kniete sich nieder und schöpfte mit der Hand Wasser, um es zu trinken. Als er den ersten Durst gestillt hatte, setzte er sich an einen Baum und blickte Midhir an. "Du hast mir jetzt erzählt, wer, oder was, mich hierher gebracht hat.", sagte er. "Aber ich weiß nicht warum. Was soll hier meine Aufgabe sein? Irgendeinen Grund muss es ja haben, dass ausgerechnet du mich hier im Wald findest und nicht irgendein anderer Wanderer."

"Auf all diese Fragen gibt es nur eine Antwort: Weil Terra es so wollte.", meinte Midhir, "Find' dich damit ab und versuch', den Weg zu finden, den sie sich für dich erdacht hat. Ich hab' dich gefunden, weil Terra es mir aufgetragen hat, sie hat mir Zeichen gegeben. Außerdem hat sie mir befohlen, auf dich aufzupassen, bis du auf eigenen Beinen stehen kannst. Du erinnerst dich noch an die Schatten und die Stimmen?", fragte er, während auch er seinen Durst löschte und seinen Wasservorrat auffrischte, obwohl sie dem Fluss folgen würden.

"Willst du mir sagen, dass Terra diese Stimmen und Schatten war?", stellte Parthalán die Gegenfrage.

Innerlich stöhnte Midhir auf, alles müsse man dem Neuen doppelt erzählen. Nach außen hin ließ er sich jedoch nichts anmerken, sondern sprach ruhig: "Wenn du dich genau erinnerst, hab ich dir in der Nacht schon gesagt, wer diese Schatten waren. Nicht Terra, sondern ausgewählte Diener von ihr: ihre Boten, um genau zu sein. Die Stimmen kamen von ihnen, aber manchmal erreichen einen auch die Anweisungen über Tiere, die einen leiten. Terra hat viele Wege, um mit dir zu reden. Du musst nur lernen, dich für diese Wege zu öffnen, dann wirst du bald verstehen."

"Das erklärt das Flüstern.", meinte Parthalán und stand wieder auf. "Ich hatte die ganze Zeit geglaubt, jemand wolle mir etwas sagen, habe aber nichts verstanden. Magst du mir das vielleicht zeigen, wie das geht?" Immer mehr war seine Neugier geweckt und immer weniger fühlte er sich seiner Vergangenheit verbunden. Er hatte mittlerweile verstanden, dass die Natur selbst ihm das Leben gerettet hatte und sie ihm das geben würde, was er brauchte. Dieser neue Weg hatte mehrere Vorteile und vor allem bräuchte er sich nie wieder irgendeinem Rittter oder Herzog unterordnen. "Könntest du mich vielleicht weiter unterweisen? So von Anfang an?", fragte er Midhir schließlich.

"Zuerst braucht man dafür eine Bagebung, aber die scheinst du zu haben, sonst würdest du die Geräusche nicht als Flüstern wahrnehmen. Und danach brauchst du einfach Übung. Zumindest war es bei mir so. Ich musste mich erst daran gewöhnen, bis ich Worte verstanden habe. Es gibt aber auch Leute, die sich dies durch Magie allein zugänglich machen.", meinte Midhir, "Dass ich dich auf deinen ersten Schritten leiten werde, liegt in Terras Plan. Aber dich so unterrichten, wie ich das alles gelernt habe, werde ich nicht können."

Parthalán dachte wieder darüber nach. "Das ist es eben so.", sagte er schließlich und setzte sich, dem Bachlauf folgend, in Bewegung.

Wenig später wurde das Rauschen des Baches lauter und es veränderte sich leicht. "Hörst du das?", fragte Midhir.

Parthalán legte den Kopf kurz schief. "Scheint mir, als würde sich der Lauf verändern. Ein einfließender Bach vielleicht!?"

Midhir nickte kurz, "Ich wollte sehen, ob du versuchst, aus dem Bach eine Stimme zu hören."

Parthalán legte den Kopf wieder schief und lauschte angestrengter. Für ihn hatte sich der Bach kaum verändert. "Ich höre keine Stimme im Wasser.", sagte er schließlich. "Eher... keine Ahnung, auf jeden Fall etwas anderes als nur dass Rauschen... Als würde unter der Wasseroberfläche eine Frau weinen... Aber nur ganz leise."

"Ich hab mich schon gewundert, woher das ganze Wasser kommt", scherzte Midhir. Etwas ernster fügte er hinzu: "Auch wenn der Bach durch einen Hain der Terra fließen würde, bleibt er unter Aquas Zuständigkeit."

Parthalán ging weiter und dachte wieder über die Elemente und seinen Weg mit ihnen nach. Als er aber um die nächste Biegug fuhr, blieb er wie angewurzelt stehen. Einige Meter voraus lag eine fast vollständig verweste Leiche, die, der Kleidung nach, einmal eine Frau gewesen war. Sie lag mit dem Gesicht im Wasser, die Gliedmaßen waren gefesselt und auf ihrem Rücken lag ein kopfgroßer Stein. "Bei...", er stockte.

"Wir sollten lieber oberhalb die Wasservorräte auffrischen.", bemerkte Midhir, bevor er hinzufügte, "Für die Frau sind wir um einiges zu spät dran. Wir können sie nur noch bergen und der Natur ihren Lauf lassen." Während er sprach, beobachete er Parthalán, um zu sehen, wie er reagieren würde.

Parthalán antwortete nicht. Stattdessen ging er geradewegs zur der Leiche und hob sie, nachdem er den Stein beseitigt hatte, aus dem Wasser. Er legte sie unterhalb einer Buche ab und richtete sich wieder auf. "Wir können hier kein Grab ausheben, der Untergrund ist zu felsig und wir haben keine Schaufel.", meinte er. Einem Instinkt folgend suchte er gleichmäßig große Steine aus dem Bach und begann, sie um die Frau und schließlich auf ihr aufzuschichten. Er brauchte eine Weile und atmete immer schwerer, aber nach einer Weile war von der Frau nichts mehr zu sehen und nur der längliche, kniehohe Steinhügel blieb sichtbar. "Gibt es irgendein Gebet, das wir für sie sprechen können?", fragte er und betrachtete sein Werk.

Midhir hatte die Fesseln der Frau durchgeschnitten und vermieden, die Frau zu berühren, während Parthalán die Brocken geschleppt hatte, um sicher zu gehen, dass die Frau eine Bestattung bekam, die würdiger war als ihr Tod - eine freie. Als er gefragt wurde, meinte er: "Jede Religion hat ihre Gebete. Du kannst auch zu Terra beten, dass die Seele der Frau wieder in den Kreis aufgenommen wird. Meinetwegen kannst du auch zu dem akandiranischen Gott beten. Ich werde nicht über dich richten deswegen."

Parthalán sah sich das Grab genauer an und wieder glaubte er, das Weinen einer Frau im Bach zu hören. Doch nun hatte sich eine Stimme darunter gemischt. Er hörte ein gehauchtes Danke, ehe der Fluss wieder ganz normal weiterrauschte. Er stand noch eine Weile da, ehe er zu einer Eiche ging und begann, darunter nach Eicheln zu suchen. Es dauerte ein wenig, doch schließlich kehrte er mit einer Hand voll zurück, welche er zwischen die Steine schob. Er kniete sich neben das Kopfende des Grabes und begann: "Ich weiß nicht, ob ihr mich hört, ihr Elemente. Aber lasst an diesem Ort neues Leben aus dem Tod entstehen. Nehmt die Seele der Frau zu euch, doch lasst den Tod nicht sinnlos sein." Er stand auf und sah noch einmal auf das Grab, ehe er sich wieder dem Weg entlang des Baches zuwandte.

Midhir war leicht verwirrt, dass der Tod der Frau Parthalán so zusetzte, sagte aber nichts. Schweigend gingen sie weiter.

Die nächsten Tage waren Midhir und Parthalán mit der Natur allein und aufregende Ereignisse wie der Leichenfund blieben aus. Parthalán hatte immer mehr das Gefühl, sich mit der Natur identifizieren zu können, auch wenn er sich nach einem richtigen Bett und einem saftigen Braten. Gleichzeitig aber merkte er, dass die Natur ihm genau das ot, was er zum Überleben benötigte.

Nach einigen Tagen mündete der Bach in einen größeren Fluss, der durch eine schier endlose Weite floss. Am durch durch die untergehende Sonne rot gefärbten Horizont konnte er eine kleine Siedlung ausmachen und sah kleine Rauchsäulen aufsteigen. "Für heute können wir auch rasten.", meinte Parthalan und ging zu einem großen Felsen, der ihnen Schtz vor dem und geben würde. Er verspürte keinen Hunger und entschied sich daher, sich nur kurz zu waschen, ehe er sich schlafen legte.

Midhir hatte Hunger, also stellte er dreizehn Fallen auf, die er morgen in der Früh kontrollieren würde. Danach suchte er sich einen Stock, den er wie einen Speer anspitzte, um einen Fisch aus dem Fluss zu holen. Als die Sonne vollständig untergegangen war, konnte Midhir nur einen kleinen Fisch als Beute vorweisen. Er dankte Aqua für das Tier aus seinem Gebiet und richtete wieder ein paar Worte an den Herren der Jagd, bevor er sich daran machte, den Fisch auszunehmen und im Fluss zu säubern. Über einem winzigen Feuer auf einer kleinen - aber etwas höheren - Konstruktion aus Ästen und Blättern trocknete er den Fisch und legte sich um das Feuer herum schlafen, damit es nicht von weitem sichtbar war.

Als Parthalán am nächsten Tag aufwachte, knurrte sein Magen. Er nahm seinen Stab und suchte in der näheren Umgebung des Lagers nach Essbarem. Als seine Suche erfolglos blieb, kehrte er zum Bach zurück und trank etwas. Er bereute mittlerweile, keine Fallen aufgestellt zu haben, wusste aber auch, dass ihm einige Tage ohne Essen auch nicht schaden würden.